Oasis

Von Anfang an wollen Oasis gewusst haben, dass sie keine alltägliche Erscheinung sind. 1991, Noel Gallagher ist gerade als Gitarrentechniker für die Inspiral Carpets mit auf Tour, gründet sein kleiner Bruder Liam mit den Schulfreunden Paul „Bonehead“ Arthurs (Gitarre), Paul McGuigan (Bass) und Tony McCaroll (Drums) eine Band. Die beiden letzteren spielen vorher schon unter dem Namen Rain zusammen.

Als Noel zurück nach Manchester kommt, sagt er zu, bei der Band mitzuspielen. Allerdings ist er schon damals ganz schön großkotzig: Er steigt nur unter der Bedingung ein, die totale Kontrolle zu übernehmen. Sprich: Niemand außer ihm schreibt die Songs.

Inspiriert von den Beatles, den Sex Pistols und den Smiths passen Clubgigs in der Heimatstadt gut ins Konzept. Mit dem Anliegen, den eigenen Aktionsradius zu vergrößern, trampt die Band nach Schottland und droht dort einem Clubbesitzer, seinen Laden nicht mehr zu verlassen, bis er sie auftreten lässt. Der Plan geht auf, und die raue Art der Konzertbeschaffung, ohne Manager oder verschicktes Demomaterial, erweist sich als äußerst effektiv.

Auf einem der Gigs hört Alan McGee, Gründer und amtierender Chef von Creation Records, die Band. Es folgt ein Plattendeal, Oasis werden zu gefeierten Helden ihrer Heimatstadt und bald auch darüber hinaus. Der Britpop-Hype kommt 1994 in die Gänge, die erste Single „Supersonic“ geht in die Charts. Die Oasis-Gigs mausern sich vom Geheimtipp zu angepriesenen Erlebnissen.

Innerhalb kürzester Zeit ist der erste Longplayer fertig, und spätestens mit dem Erscheinen von „Definitely Maybe“ ist auch Kritikern klar: Oasis sind keine Eintagsfliege, hier kommt etwas Großes.

Einfach, geradlinig, melodiös und vor allem das am schnellsten verkaufte Debüt aller Zeiten. In Großbritannien sofort an der Spitze der Charts, bewegt sich die Band ständig in den Medien – und das Zeit ihres Bestehens prägende Handicap kommt an die Öffentlichkeit.

Noel und Liam streiten ständig und geben schon kurz nach der ersten Veröffentlichung keine gemeinsamen Interviews mehr. Noel verlässt die Band während einer Amerika-Tour zum ersten Mal. Eine Medienschlacht beginnt. Die britische Klatschpresse erhöht, Drogenexzessen und Prügeleien der Brüder sei dank, die Auflagen. Die Musik rückt erst einmal in den Hintergrund.

Nach einem Brit-Award als bester Newcomer erscheint trotzdem bereits im folgenden Jahr das zweite Album. „(What’s The Story) Morning Glory“ wird zum zweithäufigst verkauften Album Großbritanniens und räumt 14 Mal Platin ab. Mit dem Zweitling gelingt zudem der internationale Durchbruch.

Die zweite US-Tour wird allerdings wieder wegen interner Reibereien abgebrochen. Das ändert sich auch mit der folgenden Scheibe „Be Here Now“ nicht. Zwar hat es die Band diesmal einige Monate im Studio miteinander ausgehalten, Touren gestalten sich jedoch stets besonders problematisch.

Nach Veröffentlichung des B-Seiten-Albums „The Masterplan“, das unter anderem eine Coverversion des Beatles-Songs „I Am The Walrus“ enthält, ist es zwei Jahre erstaunlich still um die Band.

Als Alan McGee seinen Ausstieg bei Creation Records verkündet, ist auch Oasis nicht mehr am mittlerweile von SonyBMG aufgekauften Label interessiert. Es folgt ein Wechsel zur eigens für Oasis gegründeten Plattenfirma Big Brother Recordings.

Auf „Standing On The Shoulder Of Giants“, der ersten Veröffentlichung bei Big Brother, ist dann sogar ein Song aus Liams Feder vertreten. Kurz nach Fertigstellung der Platte verlassen Bonehead und Mc Guigan die Band und werden durch „Gem“ Colin Murray Archer (Gitarre) und Andrew Piran Bell (vorher bei Ride und Hurricane #1) ersetzt.

Dem Album folgt die erste Tour in neuer Besetzung, traditionsgemäß verlässt Noel die Band einmal mehr in Amerika. Er verkündet, nur noch Shows in Großbritannien spielen zu wollen, bleibt dabei aber nur für kurze Zeit konsequent.

Nach dem Livealbum „Familiar To Millions“ (Wembley, London), das in sechs verschiedenen Formaten in die Regale der Plattenläden kommt, müssen die Fans zwei Jahre Ebbe erdulden. Auf dem folgenden Werk, „Heathen Chemistry“, sind dann drei Songs von Liam sowie jeweils ein Titel von Gem und Andy zu hören.

Angeblich soll es zur Abwechslung eine vollständig zu Ende gespielte Tour geben. Noel hört sich aber an wie immer: „Keiner braucht uns mehr zu sagen, was wir zu tun haben – wir wissen, was wir tun. Wir haben es immer getan. Wir waren die Kleinsten, wir waren die Größten, wir waren die Besten“.

Der Gitarrist hält sich natürlich nicht an seine Worte. Nach zwei abgesagten Konzerten in Bremen und Stuttgart kommt es in München im Dezember zum nächsten Eklat. Der Nachtclub des Nobelhotels Bayerischer Hof wird frühmorgens Zeuge körperlicher Auseinandersetzungen zwischen Liam und einigen Hotelgästen. Nachdem der er seine Schneidezähne als Pfand in Bayern lassen muss, bläst man die Tour ab.

Die späteren Nachholtermine finden – mit neuem Gebiss – statt. Die Münchener Staatsanwaltschaft zeigt sich in ihrem Urteil zudem gnädig: Prügel-Liam kommt mit einer Geldstrafe von 50.000 Euro davon, obwohl er sogar einen Polizisten angegriffen hatte.

Nach knapp drei Jahren Pause steht im Mai 2005 „Don’t Believe The Truth“ in den Läden. Die von den Gallaghers zusammen gestellte Best Of-Doppel-CD „Stop The Clocks“ folgt im November 2006 als letzter Sony-Release.

Oasis wollen ihre Musik in Zukunft auf eigene Rechnung verchecken. Genügend Material sollte vorhanden sein: Von 66 aufgenommenen Songs schaffte es auf „Don’t Believe The Truth“ nur ein Bruchteil.

Im Frühjahr 2007 deutet Noel gegenüber der Presse an, dass das siebte Oasis-Album zwar fast fertig sei, man die weitere Arbeit daran aber zurückstellen wolle. Eine einleuchtende Begründung dafür gibt es nicht: Einerseits heißt es, der Oasis-Chef, der im Herbst die Geburt seines zweiten Kindes erwartet, wolle sich seiner Familie widmen.

Andererseits kündigt Noel beinahe zeitgleich sein erstes Soloalbum an: „Ich habe eine Liste an Songs, die langsam länger wird. Ich habe vier oder fünf Lieder, die für Oasis zu alt sind, aber auf einer Platte unter meinem Namen funktionieren könnten“.

Zuerst erscheint Ende Oktober jedoch „Lord Don’t Slow Me Down“, eine Doppel-DVD mit dem gleichnamigen Tourfilm von Baillie Walsh sowie einem Konzertmitschnitt aus dem City of Manchester Stadium. Heimspiel für die Lads!

Nach acht Jahren Beziehung mit Nicole Appleton und einem gemeinsamen Kind heiratet Liam Gallagher im Februar 2008 die Ex-All Saints-Sängerin. Die Trauung findet geheim unter Ausschluss der Öffentlichkeit und Bruder Noel in London statt.

Während immer mehr Bands das Internet als Vertriebsplattform nutzen, stellen sich Oasis klar gegen diese Marketingkonzepte. Noel verkündet nach der Online-Veröffentlichung des Radiohead-Albums „In Rainbows“, dass Oasis „nur über ihre Leiche“ kostenlose Songs ins Internet stellen werden.

Um so weniger dürfte er sich gefreut haben, als im Mai 2008 drei unveröffentlichte neue Oasis-Songs online kursieren. Über eine undichte Stelle gelangen „Nothing On Me“, „I Wanna Live A Dream (In My Record Machine)“ und „Stop The Clocks“, die Teil des für August 2008 angekündigten nächsten Albums sind, in Umlauf – auf den Longplayer schaffen sie es letztlich nicht.

„Dig Out Your Soul“, bereits Ende 2007 in den Abbey Road Studios und Los Angeles aufgenommen, krönt die Oasis-Diskographie schließlich als Abschlussalbum. Denn auf der anschließenden Festivaltournee kommt es am 28. August 2009 in Paris zum Bruch zwischen Liam und Noel, woraufhin der Gitarrist das Handtuch wirft.

Obwohl die streitsüchtigen Brüder weiterhin Musik veröffentlichen (Liam als Beady Eye), endet mit Noels Ausstieg eine der erfolgreichsten Bandgeschichten britischer Rockmusik.

Quelle: laut.de
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